Die grüne Welle

Im Kampf gegen weiche Drogen propagieren Fachleute den kontrollierten Verkauf von Cannabis. Mehrere deutsche Grossstädte planen nun Modellversuche zur legalen Abgabe von Marihuana.

Ricardo Tarli, Berlin
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Tausende forderten auf der «Hanfparade» in Berlin im vergangenen Sommer die Legalisierung von Cannabis. (Bild: Imago)

Tausende forderten auf der «Hanfparade» in Berlin im vergangenen Sommer die Legalisierung von Cannabis. (Bild: Imago)

In der deutschen Drogenpolitik ist ein radikaler Wandel zu beobachten. Angefacht von Gewaltexzessen im Drogenmilieu und befeuert durch die Zunahme des Drogenhandels in Grossstädten ist bundesweit eine Debatte über die Legalisierung von Cannabis entbrannt. Zahlreiche Fachleute erklären die bisherige Drogenpolitik für gescheitert. Juristen, Suchtexperten und Kommunalpolitiker fordern deshalb eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums. Nur so könnten die Dealer vertrieben, der Schwarzmarkt ausgetrocknet und die Konsumenten vor gefährlicher Ware geschützt werden, wird argumentiert.

Coffeeshops für Kreuzberg?

Diese Argumente sind nicht neu. Neu ist hingegen, dass gleich in mehreren deutschen Grossstädten die Forderung nach Cannabis-Verkaufsstellen laut geworden ist. Die Bezirksvertretung Köln-Innenstadt beschloss im vergangenen Dezember, mit einer Mehrheit von Stimmen aus dem Lager der Grünen, Piraten, Linken und der FDP, einen entsprechenden Pilotversuch zu starten. Die Stadtverwaltung wurde aufgefordert, beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Ausnahmegenehmigung für den Betrieb von lizenzierten Abgabestellen in der Kölner Innenstadt zu erwirken.

Auch in Berlin sind ähnliche Bestrebungen im Gange. Die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann sorgte im Sommer 2013 mit ihrem Vorschlag, im Görlitzer Park in Kreuzberg einen Coffeeshop einzurichten, für Schlagzeilen. Der Görlitzer Park ist seit Jahren ein Schwerpunkt des Drogenhandels in der Hauptstadt. In den vergangenen Monaten ist die Lage eskaliert, es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Polizei reagierte mit einer Serie von Razzien. Die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg hatte bereits im November 2013 das Bezirksamt damit beauftragt, Schritte einzuleiten, um durch eine kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten im Görlitzer Park den «negativen Auswirkungen der Prohibition und des dadurch entstehenden Schwarzmarktes» entgegenzutreten. Es wird erwartet, dass das Bezirksamt einen Antrag für ein Modellprojekt zum kontrollierten Verkauf von Cannabis in der ersten Jahreshälfte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einreichen wird.

Im Hinblick auf die gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung legt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg grossen Wert auf die wissenschaftliche Erforschung und Begleitung des Projekts. Die erwachsenen Teilnehmer des Modellprojektes müssen sich zuvor registrieren und eine Art Konsumtagebuch führen. Sie sollen Cannabis nur in Höchstmengen und in «kontrollierter Reinheit» erhalten. Der Preis soll so gestaltet werden, dass sich ein Weiterverkauf nicht lohnt. Mit dem Modellprojekt soll nicht die Legalisierung von Cannabis unter den Bedingungen eines freien Marktes angestrebt werden, sondern vielmehr ein «regulierter Umgang» mit Drogen, wie das Bezirksamt betont. Ziel sei eine staatliche Kontrolle über den Handel mit Suchtmitteln. Doch der Widerstand gegen diese Pläne ist gross: Die Berliner Landesdrogenbeauftragte Christine Köhler-Azara und Innensenator Frank Henkel haben sich klar gegen Coffeeshops in Kreuzberg ausgesprochen. Beide äusserten unter anderem die Befürchtung, Berlin könnte zum Ziel eines deutschlandweiten Drogentourismus werden. Cannabis sei, so der christlichdemokratische Innensenator, eine Einstiegsdroge. Das Verbot dürfe deshalb nicht gelockert werden.

Zeichen der Zeit

Ähnliche Überlegungen wie in Köln und Berlin gibt es auch in Hamburg. Der Stadtteilbeirat Sternschanze, ein beratendes Gremium aus Anwohnern, hat im vergangenen November erneut die Errichtung eines Coffeeshops gefordert, um die Drogenkriminalität im Schanzenviertel einzudämmen. Trotz verstärkter Repression durch die Polizei konnte sich der Drogenhandel rund um den Flora-Park weiter ausbreiten. Der Vorschlag für einen Modellversuch zur legalen Abgabe von Cannabis liegt nun beim zuständigen Ausschuss der Bezirksversammlung Altona.

In Frankfurt dagegen herrscht, im Gegensatz zu Berlin, Köln oder Hamburg, auf der obersten politischen Ebene Konsens über die Entkriminalisierung von Cannabis: Im November hat die zuständige Frankfurter Gesundheitsdezernentin, die der Stadtregierung angehört, einen Modellversuch für die kontrollierte Abgabe von Marihuana angekündigt. Details dazu sind noch nicht bekanntgeworden. Frankfurt, so viel wurde kommuniziert, will keinen Alleingang, sondern sucht die Kooperation mit anderen Städten. Wann der Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingereicht werden kann, ist offen. Die SPD fordert dazu einen raschen Beschluss des Stadtparlaments.

Das grosse mediale und politische Echo, das die Befürworter einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland ausgelöst haben, deutet darauf hin, dass ein Umdenken eingesetzt hat. «Nie war die Debatte so intensiv geführt worden, nie gab es international so viele Experten, die ein Ende der derzeitigen repressiven Drogenpolitik fordern», schreibt der Deutsche Hanfverband (DHV) in seinem Jahresrückblick euphorisch. Die Legalisierungsbefürworter haben es in der Tat geschafft, nicht zuletzt dank einer professionell geführten Öffentlichkeitsarbeit durch den DHV, die Debatte innerhalb kurzer Zeit in Gang zu bringen. Einer der Höhepunkt der DHV-Kampagne war Ende November der Start von Kinowerbespots, die für eine Legalisierung werben und zu Jahresbeginn in über zweihundert deutschen Städten liefen.

Schützenhilfe bekommen die Legalisierungsbefürworter nicht nur von führenden Drogenexperten. Auch Polizeivertreter und Strafrechtler haben sich auf ihre Seite geschlagen. So hat sich der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gegen die Verfolgung von Konsumenten geringer Cannabismengen ausgesprochen. Mehr als hundert deutsche Strafrechtsprofessoren fordern in einer Resolution an den Deutschen Bundestag neue Wege in der Drogenpolitik und die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums. Auch die internationale Entwicklung, namentlich in den USA, hat die Debatte in Deutschland entscheidend beeinflusst: In Colorado fanden Anfang 2014 die ersten legalen Verkäufe von Cannabis statt; im vergangenen November haben die Stimmbürger in Oregon und Alaska ebenfalls für die Legalisierung von Marihuana gestimmt. Uruguay erlaubt seit Mai 2014, als erstes Land weltweit, den Anbau und Handel von Cannabis unter staatlicher Kontrolle.

Unklare Rechtslage

Bestärkt durch diese Pioniervorhaben gewinnen die Legalisierungsbefürworter auch in Deutschland Oberwasser. Die Modellprojekte bilden dabei eine entscheidende Etappe auf dem Weg weg von der Prohibition. Die Initianten solcher Pilotprojekte zur straffreien Abgabe von Cannabis berufen sich unter anderem auf das von der Bundesregierung im Jahre 1998 auf den Weg gebrachte Modellprojekt zur Abgabe von Heroin oder Methadon an Schwerstabhängige.

Aufgrund welcher Kriterien die Bewilligungsbehörde die Erteilung einer Genehmigung genau prüft, ist indes unklar. Das Betäubungsmittelgesetz schreibt lediglich vor, dass eine Abgabe nur ausnahmsweise zu «wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken» erteilt werden kann. Das für die Erteilung einer Bewilligung zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) hält sich auf Anfrage bedeckt, «aus Rücksicht auf die Antragsteller». Jeder Antrag müsse einer Einzelprüfung unterzogen werden. Solange kein Antrag vorliege, sei es nicht möglich, eine Stellungnahme dazu abzugeben, heisst es beim Bfarm.

Das Kalkül der Befürworter: Wenn mehrere Kommunen einen Antrag einreichen werden, steigt der politische Druck und damit die Chancen für die Genehmigung eines oder mehrerer Modellversuche. Beim Hanfverband gibt man sich trotzdem wenig optimistisch: Der Geschäftsführer Georg Wurth befürchtet eine Ablehnung der Anträge aus politischen Gründen und verweist dabei auf die organisatorische Stellung des für die Bewilligung zuständigen Bfarm, das zum Geschäftsbereich des CDU-geführten Gesundheitsministeriums gehört. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, hat sich erweil klar gegen eine Cannabis-Legalisierung ausgesprochen.

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